Zittauer Fastentücher
Description
Die Zittauer Fastentücher – einzigartig in Deutschland, bedeutend für Europa Wer fastet, der verzichtet. Was hat ein Tuch mit Enthaltsamkeit zu tun?
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Seelisch hungern.
Um das Jahr 1000 sagten sich die Christen: In der Zeit vor Ostern wollen wir nicht nur körperlich, sondern auch seelisch fasten. Sie hängten zwischen Altar und Kirchenraum ein großes Tuch. Statt sakraler Pracht und weihevollem Ritual betrachteten sie ab Aschermittwoch 40 Tage lang ein schlichtes Standbild. Ein Weg zu innerer Einkehr.
Unikate in Deutschland.
Diese textilen Raumteiler nannte man Fastentücher oder Hungertücher. Sie waren in Europa weit verbreitet. Wenige Stücke sind erhalten geblieben, so in Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz. Die Stadt Zittau – an der Grenze zu Polen und Tschechien gelegen – besitzt gleich zwei: das Große Zittauer Fastentuch von 1472 und das Kleine Zittauer Fastentuch von 1573. Die Bilderwelt beider ist einzigartig in Deutschland.
Bilderbibel und Leidenswerkzeuge.
Das große Tuch (56 Quadratmeter) zeigt 90 biblische Szenen. Das kleine Tuch (15 Quadratmeter) stellt die Kreuzigung Jesu dar, umrahmt von mehr als 30 Leidenswerkzeugen (Arma Christi) wie Geißelsäule und Lanzen. Unbekannte Meister haben die volkstümlichen Darstellungen in Tempera auf Leinen gemalt.
Seltene Stücke.
Das Große Fastentuch zählt mit seinen aufeinanderfolgenden Bildern in zehn Reihen zu den Tüchern des Feldertyps. Nur noch 18 Exemplare gibt es davon weltweit. Das Kleine Fastentuch verkörpert den Arma-Christi-Typ, von dem sich einzig sieben Exemplare erhalten haben.
Abenteuerliches Schicksal.
Das Große Fastentuch hing 200 Jahre in Zittaus Hauptkirche St. Johannis. Später verschollen geglaubt, wurde es 1840 wiederentdeckt, viele Jahre in Dresden gezeigt, danach in Zittau. Sowjetische Soldaten nutzten es 1945 als Saunaverkleidung. Ein Holzsammler fand die zerschnittenen Teile im Wald. Die DDR versteckte die Überbleibsel im Depot. 1994/95 wurde das Tuch in der Schweiz restauriert.
Weltgrößter Schaukasten.
Seit 1999 hängt das Große Fastentuch – laut Guinness-Buch der Rekorde – in der größten Museumsvitrine der Welt. Sie steht in der Zittauer Museumskirche Zum Heiligen Kreuz. Fast 400.000 Besucher sahen schon das riesige Tuch. Das Kleine Fastentuch – ebenfalls restauriert – ist seit 2005 im Kulturhistorischen Museum Franzikanerkloster Zittau in einem besonders geschützten Ausstellungsbereich zu sehen.
Zeugnisse der Toleranz.
Obwohl Luther Fastentücher als „päpstisches Gaukelwerk“ bezeichnete, nutzten Zittaus evangelische Christen das Große Fastentuch auch nach der Reformation. Sie gaben sogar das Kleine Fastentuch neu in Auftrag. Als Vorlage diente ein Werk des Lütticher Künstlers Lambert Lombard. Beide Fastentücher sind heute eine Station der Kulturroute „Via Sacra“ im Dreiländereck Deutschland – Polen – Tschechien.